Vor einem Jahr habe ich einen Post geschrieben. Einen Post, von dem ich hoffen würde, dass ich ihn nicht schreiben müsste. Einer, von dem ich noch heute hoffen würde, ihn nicht zu schreiben. Nicht weil er nicht wichtig ist, sondern weil ich mir wünsche, nicht krank zu sein.
Ich hab neue Winterstiefel und diese neuen nicht mehr so neuen Winterstiefel sind ein halbes Jahr alt. Wie oft ich sie getragen habe, kann ich an einer Hand abzählen. 🥾 👢
Vor einem Jahr stand in meinem Post, das ich vielleicht ME/CFS habe, dass ich es nicht so richtig weiß, weil ich nichts so richtig weiß. Weil die Diagnose lange dauert, weil sie mühsam ist. Weil kaum jemand uns sieht oder sehen will.
Heute steht in diesem Post etwas anderes. Ich habe ME/CFS. Und damit gehöre ich zusammen mit Millionen anderen Menschen zu den Vergessenen. Vergessen gefühlt habe ich mich schon vor einem Jahr, damals traute ich mich irgendwie nicht so recht, mich dazuzuzählen. Weil ich es ja nicht wusste … weil ich mir nicht sicher war.
Sicher bin ich mir noch heute nicht besonders oft. Aber eines weiß ich ganz sicher, oder nein eher einiges weiß ich ganz sicher:
Ich bin krank. Seit fünf Jahren spielt sich mein Leben größtenteils in meinen vier Wänden ab, die gefühlt immer näher kommen. Mein Bett wurde zu meinem besten Freund, auch wenn sich jede Stunde, die ich darin verbringe ein kleines, aber bedeutendes bisschen, verloren anfühlt. Der eine Baum, den ich von meinem Bett aus sehe, verändert sich immer ein bisschen. Der eine Windhauch löst eines seiner Blätter, der nächste weht es weg. Das weiß ich auf sicher, ich habs gesehen, in Echtzeit. Ich mag diesen Baum, sehr sogar. Er ist nicht besonders gesprächig, dafür hab ich zwei Hunde, eine Katze und zwei Kaninchen, die mir Gesellschaft leisten. Aber der Baum redet ab und an mit mir. Das alles, weiß ich. Weil das alles zu meinem Leben gehört.
Genauso wie gute Filme und Serien, wenn ich mal wieder eine davon sehen kann, wie unglaubliche und manchmal semiunglaubliche Bücher, wie Musik, wenn mein Hirn sich von seinem Nebel befreien kann. Nur für kurz. Manchmal für drei Seiten. Manchmal für fünfzig. Wie die Worte, die mich gerettet haben. Wie alle meine Träume, meine Gedanken, die zu Gedichten oder so was Ähnlichem werden.
Ich wünsche mir, dass es anders wäre, anders ist. Ich wünsche mir, dass meine Winterstiefel am Ende eben dieses Winters halb abgelatscht sind, dass Spuren von Schnee und Matsch und Dreck von Straßen an ihnen haften. Ich wünsche mir, dieser Staub, der sie bedeckt, wäre nicht da, oder dass er beim Existieren und vor sich hin verstauben wenigstens leise wäre.
Er ist laut. Jeden Tag, wenn ich an meinen Schuhen vorbeilaufe, kommt es mir vor als würden sie weinen. Den Staub, ja den freut es, keiner wird ihn beseitigen. Er darf bleiben. Niemand braucht diese Schuhe. Vielleicht fällt der Staub niemandem auf, außer mir. Mir fällt er auf.
Vielleicht weil er eben nicht nur an meinen sechs Monate alten Winterstiefeln haftet, sondern auch an meinem Fahrrad, und an meinem neuen nicht mehr so neuen, zwei Jahre alten, Fahrradhelm den ich, seit ich ihn bekommen habe, nur ein einziges Mal aufhatte. Vielleicht, weil der Staub an meinem Leben haftet und weil er nicht weggeht, egal wie viele Male ich abstaube. Er klebt fest. Er wird noch lange dableiben. Und das tut weh. Also ja, ich wünsche mir, es wäre anders.
Und ich wünsche mir, dass ich mit meinen vollgesauten Winterstiefeln, meinem schon lange nicht mehr neuen Fahrradhelm auf meinem Fahrrad ohne jeglichen Staub rumfahren könnte. Nicht lange. Nur fünf Minuten. Nur ganz kurz. Nur ganz kurz vergessen, dass es diesen Staub gibt, der bleibt, auch wenn ich abstaube, der einfach immer bleibt, auch wenn ich alles gebe.
Oder vielleicht wäre es schon nur schön, wenn dieser Staub nicht so trist grau wäre. Vielleicht rosa, oder gold. Das wäre schön. Ansehen würde ich ihn nicht lieber, bedeuten würde er immer noch dasselbe. Aber schöner wäre er vielleicht schon.
Das ist mein Ziel bis zum nächsten Tag der Vergessenen. Bis zum nächsten 12. Mai. Ich verwandle den grauen Staub meines Lebens in rosa oder goldenen Staub 💖. Vielleicht sieht er dann mehr aus wie eine Wolke ☁️. Vielleicht macht er mir dann weniger Angst. Wir werden sehen.